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Stellungnahme bzgl. zukunftsfähiger u. nachhaltiger Umweltpolitik

Der eindringliche Appell eines Unterstützers an Bürgermeister und Stadträte:


 

(Verfasser)

27.7.21



Herrn Oberbürgermeister Claus

sowie Mitglieder des Stadtrats

Fridtjof-Nansen-Platz 1

55218 Ingelheim



Bebauungsplan „Reitanlage an der Mainzer Landstraße/Ehemaliges IBM-Gelände“.



Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

sehr geehrte Damen und Herren Stadträte,


im Rahmen der frühzeitigen Beteiligung nehmen wir Stellung zu der Absicht der Stadt, durch einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan einem Investor die Errichtung einer Großreitanlage auf dem ehemaligen IBM Gelände zu ermöglichen.


Das Projekt ist an dieser Stelle fehl am Platze. Beim IBM-Gelände einschließlich der direkten Umgebung handelt es sich um hochwertigste Kalkflugsandbiotope mit einer extrem großen Artenvielfalt in Fauna und Flora, vergleichbar mit dem Mainzer Sand. Die Umgebung hat den höchsten Schutzstatus, den es gibt, nämlich Naturschutzgebiet nach deutschem Naturschutzrecht und Fauna-Flora-Habitat und Vogelschutzgebiet (Natura 2000-Netz) nach europäischem Naturschutzrecht. Das IBM-Gelände ist von diesen Schutzgebieten nicht nur umschlossen, sondern ist eigentlich sogar Teil der Schutzgebiete. Es wurde seinerzeit im Flächennutzungsplan nur deshalb als „Freizeitgelände“ ausgewiesen, um die (extensive) Nutzung durch den ehrenamtlichen Freizeitclub zu ermöglichen. Nachdem diese Nutzung aufgegeben wurde, hätte das Gelände der Natur zurückgegeben werden müssen. Das wurde seitens der Kommune versäumt. Die darauf folgende Verscherbelung – man muss das so sagen – dieses wertvollen Naturinventars an einen Investor war ein schwerer politischer Fehler, der auch heute noch zu korrigieren wäre.


Die vorgelegten Unterlagen weisen eine gewerbliche Großreitanlage aus, die dort gebaut werden soll. Es handelt sich um bauliche Bedarfe für 100 Pferde. Im Einzelnen also Gebäude, Stallungen, Paddocks, Lageranlagen für Futter, Mist und Gülle, Schmiede, medizinische Versorgungsstelle, Reitplätze, Galoppierbahn. Eine Gaststätte und eine Tribühne ist enthalten, somit sind auch Turniere und Veranstaltungen geplant. Hinzu kommen mehrere Dienstwohnungen, Schulungsräume, Zufahrten und Stellplätze für Fahrzeuge. Allein die Aufzählung dieser geplanten Anlagen und Gebäude macht deutlich, dass von einem solchen gewerbsmäßig betriebenen Reitgeschäft enorme Belastungen der Umwelt zu erwarten sind: Emissionen von Lärm, Staub und Licht sowie Verkehrsbelastungen für die nahen Wohngebiete (vor allem an Wochenenden) und Beeinträchtigung der Waldwege durch Ausritte. Schließlich Umweltbelastungen durch Gülle, Exkremente und Medikamentenrückstände (Antiparasitika wg. Entwurmung der Pferde) sowie als weitere bedeutsame Auswirkung Versiegelung und Flächenverbrauch. Naturschutzfachlich führen diese Emissionen zu Störungen der Arten und einer deutlichen Verschlechterung der Lebensräume, besonders der Kalkflugsand- und Steppenrasenflächen. Die geschützte und besonders seltene Flora und Fauna wird geschädigt, vor allem auch die Insekten.

Aus Naturschutzgründen ist die Anlage deshalb nicht genehmigungsfähig. Dies bestätigen auch die Stellungnahmen der Naturschutzverbände und nach meiner Kenntnis auch Aussagen der Oberen Naturschutzbehörde (SGD Süd Neustadt) und der Unteren Naturschutzbehörde (Kreis Mainz-Bingen). Außerdem sieht der inzwischen rechtsverbindliche Bewirtschaftungsplan des Natura 2000-Gebietes „Kalkflugsandgebiet zwischen Mainz und Ingelheim“ für das ehemalige IBM-Gelände den „Rückbau der Gebäude, Sportplätze und –anlagen“, die „Beruhigung des Gebietes von Freizeitaktivitäten“ sowie die „Wiederherstellung naturnaher Sand- und Steppenrasen“ vor. Eine gewerbliche Großreitanlage lässt sich damit nicht vereinbaren. Die Fläche ist vielmehr in das bestehende Schutzgebietsnetz zu integrieren.

Auch nach dem gültigen „Regionalen Raumordnungsplan 2014“ ist die Großreitanlage nicht raumverträglich und nicht genehmigungsfähig. Über das gesamte Gebiet liegt das Ziel „Regionaler Grünzug“ mit Schwerpunkt „Arten- und Biotiopschutz“ und „Freiraumschutz“. Eine Bebauung ist nicht zulässig. Schließlich widerspricht das Vorhaben dem Baugesetzbuch, wonach eine Bebauung im Außenbereich nur dann möglich ist, wenn ein gravierendes öffentliches Interesse nachgewiesen wird. Ein öffentliches Interesse am Bau einer gewerblichen Großreitanlage ist nicht erkennbar.


Aufgrund dieser Sachlage ist kaum nachvollziehbar, dass der Stadtrat trotzdem einen „vorhabenbezogenen Bebauungsplan“ auf den Weg bringt. Noch weit mehr irritierend wirkt die Absicht vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Rahmenbedingungen, die geprägt sind von den Klimaveränderungen.

Dabei kommt dem Natur- und Artenschutz seit Jahren immer größere Bedeutung zu. Viele Menschen erkennen und akzeptieren zunehmend, dass sich grundlegend und in wirklich allen Bereichen etwas verändern muss, wenn es gelingen soll, die Klimaveränderungen so abzumildern, dass sie nicht unser aller Existenz bedrohen. Auch die Pandemie hat zu dieser Erkenntnis und zu deutlich beobachtbaren Verhaltensänderungen beigetragen. Es ist längst klar und durch viele wissenschaftliche Studien untermauert, dass es einen Gesamtzusammenhang gibt zwischen CO²-Emissionen, Flächenverbrauch, Naturzerstörung, Artenschwund und nicht nachhaltigem Wachstum. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte als Reaktion auf die jüngsten Flutkatastrophen, „Deutschland müsse sich sputen im Kampf gegen den Klimawandel …….durch eine Politik, die eben die Natur und das Klima mehr in Betracht zieht, als wir das in den letzten Jahren gemacht haben“. Dem ist nichts hinzuzufügen. Und noch vor wenigen Wochen hat die Kanzlerin die Forderung erhoben, 30 % der Landflächen weltweit und damit auch in Deutschland unter besonderen Schutz zu stellen. Das ist notwendig, denn Artenschutz geschieht durch Lebensraum-Schutz. Aktuell liegen wir bei ca. 20 %, also weit unter diesem Ziel.

Ein dominanter Aspekt dieser Problematik ist der im dichtbesiedelten Deutschland immer noch viel zu hohe Flächenverbrauch. Trotz aller politischen Reduktionsziele verbrauchen wir immer noch rund 52 ha pro Tag, das sind rund 73 Fußballfelder – und das seit Jahrzehnten und bei stagnierenden oder zurückgehenden Bevölkerungszahlen. Die Verantwortung hierfür liegt vor allem bei den Kommunen; ihre Planungshoheit ist der Kristallisationspunkt für Flächenverbrauch, Naturschutz und Artenschutz.

Jede Gemeinde, jede Stadt hat ihre eigene Verpflichtung und Verantwortung, den Flächenverbrauch zu begrenzen und die Rechte der Natur, ihrer Arten, ja der ganzen Schöpfung nicht nur zu beachten, sondern aktiv zu fördern. Eine große Mehrheit der Menschen will das auch. Konkret bedeutet das, nicht alle Flächen zu bebauen, und vor allem nicht in Schutzgebieten.

Mit Bezug auf die geplante Reitanlage hört man immer wieder das Argument „ist ja gut und schön, aber was sollen wir denn sonst mit der Fläche machen?“ Dieser Frage liegt eine Einstellung zugrunde, die vor allem bei Bürgermeistern und Gemeinde- und Stadträten anzutreffen ist, dass man nämlich mit Flächen, die nicht mehr benötigt werden, etwas „machen“ muss, sprich irgendwie „verwenden“ und bebauen muss. Diese Einstellung ist falsch, und zwar grundlegend. Die Flächen wurden seinerzeit der Natur entnommen. Sie gehörten schon damals zum Gebiet des Lennebergwaldes. Zweck war die Ermöglichung sportlicher Tätigkeiten eines Vereins. Ist der Zweck erfüllt, muss die Fläche selbstverständlich der Natur zurückgegeben werden. Wir haben die Flächen sozusagen geliehen, es ist nicht so, dass ein irgendwie gearteter Zwang bestünde, sie anders zu verwenden. Und das gilt generell, weil sonst die Natur immer weiter unter die Räder kommt. Vor diesem Hintergrund ist es aus meiner Sicht unverantwortlich, mitten im Naturschutzgebiet den Interessen eines Investors nachzugeben und eine Großreitanlage zu genehmigen. Der Stadtrat sollte im Interesse der Natur von weiteren Planungsschritten absehen. Es wäre ein ganz normaler und sinnhafter Vorgang, den Flächennutzungsplan entsprechend zu ändern, die bisherige Bezeichnung als „Freizeitgelände“ zu streichen und die Fläche als Ausgleichsfläche vorzuhalten bzw. dem Öko-Konto zuzuordnen.


Ergänzend zu diesen grundsätzlichen Argumenten ist festzuhalten, dass der Investor im nahen Gewerbegebiet „Budenheimer Weg“ bereits eine gewerbliche Reitanlage betreibt. Es besteht somit erst recht kein Grund für einen Neubau im Naturschutzgebiet. Sogar Erweiterungen wären möglich, denn der Investor besitzt dort weitere Flächen, und man müsste nur marode und alte Industrigebäude abreißen und Flächen entsiegeln.

Wir fragen uns, welche Politik der Stadtrat und Sie als Bürgermeister und Spitze der Verwaltung verfolgen. Ist sie nachhaltig, mit Rücksicht auf die Natur, entspricht sie den dringenden Erfordernissen des Umwelt- und Klimaschutzes? Eine gewerbliche Großreitanlage an dieser Stelle entspricht dem ganz sicher nicht, sondern bevorzugt wirtschaftliche Individualinteressen zu Lasten der Natur.

Wir bitten Sie herzlich, aber auch sehr dringend, das Projekt nicht weiter zu verfolgen und der Vernunft und dem Allgemeinwohl wieder den Vorrang zu geben.



Mit freundlichen Grüßen



(Unterschrift)

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